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Unerwarteter Ausgang an der OL-WM

Schweizer Protest gutgeheissen - Marie-Luce Romanens Dritte

Die Schweizer Teamleitung hat an den OL-Weltmeisterschaften in Grimstad Protest eingelegt und verlangt, dass Marie-Luce Romanens, die den dritten Rang verpasst hatte, gemeinsam mit der Norwegerin Hanne Staff in den dritten Rang gesetzt werden sollte. Der Einwand wurde von der siebenköpfigen Jury gutgeheissen. Bei den Herren wie auch bei den Damen setzte es Überraschungserfolge ab.

Sl. Grimstad, 14. August

Spannender hätte auch ein Regisseur den Kurzstreckenlauf kaum inszenieren können. Sowohl in der Damen- wie in der Herrenklasse gewannen nach zahlreichen Wechseln in der Führung die zuletzt gestarteten Läufer. Zur Enttäuschung des norwegischen Publikums waren es keine Einheimischen. Die 22jährige Österreicherin Lucie Böhm gewann in einer Art, wie man sie bisher nur von nordischen Spitzenläufern kannte. Nach der Prüfung reichte die Schweizer Teamleitung Protest ein und verlangte, dass Marie-Luce Romanens, die den dritten Rang um eine Sekunde verpasst hatte, gemeinsam mit der Norwegerin Hanne Staff auf den dritten Platz gesetzt werden sollte. Der Einwand der Schweizer wurde von der siebenköpfigen Jury gutgeheissen.

Die neue Weltmeisterin Lucie Böhm hatte schon den Qualifikationslauf dominiert und sich so den günstigen letzten Startplatz im Final gesichert. Offenbar verdaute sie den Erfolg über Mittag mit Ausruhen und Fernsehen gut, denn am Nachmittag hatte sie vom dritten Posten an stets die beste Laufzeit aufzuweisen. Am drittletzten Posten, 600 m vor dem Ziel, hörte sie vom Lautsprecher, dass ihr noch zweieinhalb Minuten blieben. Sie zweifelte daran, dass das genügte, liess sich aber nicht beirren und kam ohne Fehler bis ins Ziel. Ganz unbekannt ist die Österreicherin nicht. Bereits 1994 hatte sie in der Schweiz den Kurzstreckenlauf der gut besetzten Studenten-WM gewonnen. Seit einem Jahr trainiert und studiert sie in Stockholm getreu der Regel, dass jeder Spitzenläufer einen längeren Aufenthalt im Norden braucht. Die Überraschung liegt denn auch weniger in ihrer Person als darin, dass erstmals eine Läuferin aus Mitteleuropa und aus einem bisher im OL-Sport weniger bekannten Land im Norden gewonnen hat. Ein Teil des Erfolges geht auch auf Schweizer Kontos: Der frühere Schweizer Herrentrainer Ueli Aeschlimann kümmert sich seit zwei Jahren um das österreichische Team, und die ehemalige Schweizer Spitzenläuferin Kirsten Giger betreut es als Physiotherapeutin.

Starke Schweizerinnen

Die Schweizerinnen glänzten erneut als Mannschaft und brachten als einzige alle vier Läuferinnen unter die ersten fünfzehn. Marie-Luce Romanens wurde dabei vorerst von Hanne Staff knapp aus den Medaillenrängen verdrängt. Ein Schwenker vor dem letzten Posten, bereits in Sichtweite der Zuschauer, und ein etwas schwächerer Spurt kostete sie um eine Sekunde den nach den Zwischenzeiten fast über die ganze Strecke gehaltenen dritten Platz. Ganz regelkonform war das Resultat nicht, denn der Speaker hatte Hanne Staff fast ins Ziel getrieben und ihr die verbleibenden Sekunden vorgezählt. Wie eingangs erwähnt, revidierte die Jury nach einem Protest der Schweizer Teamleitung diese Klassierung. Sie stellte anhand des Zielprotokolls fest, dass die von Hand ausgelösten Zeiten von Staff und Romanens nur um 17 Hundertstelsekunden differiert hatten. Das genügte der Jury für eine Ex-aequo-Klassierung im dritten Rang.

Nachdem sich drei Norweger in der Führung abgelöst hatten, gewannen schliesslich zwei Finnen das Rennen der Herren, Janne Salmi und Timo Karppinen. Auch das entsprach nicht ganz den Erwartungen, ist aber erklärbar. Die Finnen haben den Kurzstreckenwettbewerb zuerst eingeführt und pflegen ihn am intensivsten. Nach einigen Rücktritten haben sie in den letzten Jahren ein junges Team aufgebaut, das jetzt reif geworden ist. Den Schweizer Herren gelang der Lauf nicht nach Wunsch. Nachdem alle vier die Qualifikation sicher überstanden hatten, waren sie im Final zu nervös und erwarteten zuviel.

Kurz die Strecke, lang der Tag

Der Kurzstrecken-Tag ist der längste der WM. Vom ersten Start zur Qualifikation um neun Uhr morgens bis zum Zieleinlauf des Finalsiegers gegen sechs Uhr am Abend stehen Läufer und Veranstalter unter Druck. Der Veranstalter muss die gesamte Infrastruktur für zwei Grossveranstaltungen bereitstellen. Die Läufer müssen den Qualifikationslauf vorbereiten und überstehen, denn nur die 60 besten sind im Final startberechtigt. Anschliessend gilt es, sich körperlich und mental zu erholen, den Lauf zu verarbeiten und die Fehler zu analysieren. Dann sollten die Läufer möglichst alles vergessen und sich neu auf den Final einstellen. Eine Erleichterung im Rahmen dieser WM war, dass sich das Ziel der Qualifikation und der Start des Finals am selben Ort neben einem Schulhaus befanden. So mussten die Läufer nicht dislozieren.

Die Durchführung von Qualifikation und Final am selben Tag ist umstritten. Ein Argument ist, dass es auch keinem Bahnläufer einfallen würde, innert weniger Stunden zwei Wettbewerbe über 30 Minuten zu absolvieren. Anderseits führt der klassische Lauf über die doppelte bis dreifache Distanz, ohne dass die Läufer Schaden nehmen. Und verglichen mit Fünf- oder Zehnkämpfern haben es die Orientierungsläufer immer noch leicht. Dennoch werden versuchsweise an der nächsten WM die beiden Kurzdistanzläufe auf zwei Tage verteilt - oberflächlich eine Erleichterung für Teilnehmer und Veranstalter. Ein wesentliches Element dieser Disziplin, der mentale Stress, geht damit aber verloren.

Neue Zürcher Zeitung vom 15.08.97


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